Geteilte Welten Kapitel 19 – Zwei lange Tage

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Zwei lange Tage

Tims Vater hatte eine einerseits schöne, andererseits aber auch böse Überraschung für ihn. Beim Abendessen offerierte er ihm: „Tim, Du bist doch nun schon fast erwachsen, und irgendwann sollst Du ja meine Firma übernehmen. Da kannst Du nicht früh genug schon mal reinschnuppern. Also hör mir jetzt bitte gut zu: Morgen nach der Schule holt Robert Dich ab und bringt uns zum Flughafen; wir fliegen nach London. Ich habe dort eine wichtige Präsentation, die mir sehr viel bedeutet, und dafür brauche ich einen zuver-lässigen Assistenten, der mir zur Hand geht. Dabei habe ich an Dich gedacht. Abends ist dann noch ein Empfang mit für mich sehr wichtigen Leuten, und wir bleiben über Nacht im Hotel. Am Freitag brauchst Du nicht zur Schule, stattdessen gehen wir noch ein wenig shoppen und schauen uns die Stadt an, bevor wir zurück fahren. Deine Mutter bleibt zuhause. Freitagabend fliegen wir dann zurück. Was hältst Du davon? Tim überlegte. Er war stolz, dass sein Vater ausgerechnet ihn nach England zu diesem wichtigen Termin mitnehmen wollte – aber dann würde er zwei lange Tage seinen Marko nicht sehen können… Um seinen Vater nicht zu enttäuschen, sagte er aber schließlich zu. Marko würde es sicher verstehen können; außerdem hatte er ja noch das ganze Wochenende mit ihm. „Gut, dann geh bitte Dein Zimmer, und packe Dir einen Koffer. Margret kann Dir ja helfen, wenn Du nicht klar kommst. Nimm aber auf jeden Fall für morgen Deinen grauen Anzug mit; wir müssen einen guten Eindruck machen! Für Freitag kannst Du Dir ja dann bequeme Sachen einpacken“. „Ok, Paps, aber ich glaube, ich schaffe das schon alleine!“ antwortete Tim mit einem Augenzwinkern.

Er hatte gerade den kleinen Reisekoffer und eine Sporttasche aus dem Schrank geholt, als sein Telefon schellte. „Hallo, mein Süßer“, säuselte Marko in den Hörer. „Hi Schatzi“, kam es von Tim zurück, „na – was machste?“ „Hänge vorm PC ab, zocke in bissel und denk an Dich! Und Du?“ Jetzt musste es raus. „Ich packe gerade meinen Koffer; mein Vater nimmt mich morgen mit nach London; nach der Schule holt unser Fahrer mich ab!“ Stille. „Hey, biste noch da?“ fragte Tim vorsichtig nach. „J – ja. Mir hat’s nur grad die Sprache verschlagen. Was machste denn in London? Und wie lange bleibste weg? Ich hatte mich doch so auf das Weekend mit Dir gefreut…“ „Keine Panik, ich bin am Freitagabend zurück. Unserem Wochenende im „Nest“ steht also nix im Weg!“ Er hörte Marko deutlich aufatmen. „Aber zwei Tage ohne Dich – wie soll ich das denn aushalten?“ fragte er. „Da müssen wir durch – aber wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, rufe ich dich auf jeden Fall an, ok?“ „Ja Schatz, bitte mach das! Dann höre ich wenigstens Deine Stimme, wenn wir uns schon so lange nicht sehen!“ Während sie telefonierten, holte Tim Unterwäsche, vorsichtshalber eine Badehose (vielleicht gibt’s ja nen Pool?), einen Pyjama mit dem Familienwappen, seinen Bademantel (ebenfalls mit Wappen!) und 3 Oberhemden aus dem Schrank (mal lieber eins in Reserve, man weiß ja nie!) und legte alles ordentlich auf seinen Schreibtisch. Dazu stellte er noch seine besten Schuhe und ein paar Pantoffeln auf den Boden. Doch dann ließ er sich erstmal auf sein Bett fallen und konzentrierte sich wieder ganz auf Marko. Gerade hörte er ihn sagen: „Ich freue mich schon tierisch auf das Wochenende mit Dir! Nur wir zwei – ohne, dass uns einer stört. Das wird mega-geil! Hast Du Deinen Eltern schon von der „Party“ erzählt?“ „Nee, noch nicht. Bin ich noch nicht zu gekommen – mein Paps hat mich ja gleich mit der Reise nach London überfallen! Ich laufe aber gleich noch mal eben runter, und sag’s ihnen. Die sitzen bestimmt noch im Wohn-zimmer.“ So langsam aber sicher ging ihnen der Gesprächsstoff aus, und sie beendeten das Telefonat, nachdem sie sich noch ein paar Liebes- und Treueschwüre durch Telefon zugeflüstert hatten. Tim legte noch schnell ein paar Kleinigkeiten für die Reise zurecht, dann zog er sich aus, schlüpfte in seine Schlafanzughose und warf sich den Bademantel über. Barfuss lief er die Treppe hinunter, und klopfte an der Wohnzimmertür. „Ja, bitte?“ hörte er seine Mutter rufen. Er trat ein und erntete zunächst verwunderte und skeptische Blicke seiner Eltern – erstens, weil er noch einmal herunter gekommen war, das waren sie in letzter Zeit nicht mehr von ihm gewohnt, und zweitens wegen seines Aussehens. „Ich wollte Euch noch fragen, ob ich übers Wochenende weg bleiben kann. Ich bin zu einer Party eingeladen – das kann eine lange Nacht werden. Wir pennen dort; irgendwann am Sonntagabend bin ich wieder da. Ist das ok? Darf ich? Bitte!“ Bettelnd sah er seine Eltern nacheinander an. Tims Vater schaute fragend zu seiner Frau hinüber, sagte aber nichts. Doch auch sie schien erstmal darüber nachzudenken. Schließlich ergriff Albert von Hochbergen doch das Wort. „In Ordnung, wenn Du Dich morgen gut benimmst und mir in London ordentlich hilfst. Also gib Dein Bestes!“ Mit einem breiten Grinsen sah er wieder seine Frau an, als ob er eine Bestätigung von ihr erwartete. Sybilla von Hochbergen

Lächelte und nickte. Dann fügte sie noch schnell hinzu: „Aber trink bitte nicht so viel!!“ Tims Herz klopfte, als er zurück in sein Zimmer ging. Er würde alles zur vollen Zufriedenheit seines Vaters erledigen, das wusste er genau. Erleichtert und glücklich legte er sich in sein Bett und schlief bald ein.

Am nächsten Morgen war Tim aufgeregt; er freute sich auf die Reise nach London. Auch wenn ihm sehr wohl bewusst war, was sein Vater von ihm erwartete, würde es bestimmt toll und interessant werden. In Windeseile flog er durchs Bad und zog sich an. Er musste ja noch schnell den Koffer packen! Seine Hemden und der Anzug verschwanden in einer Kleiderhülle, den Rest legte er ordentlich zusammen. Die Sporttasche diente als Behältnis für seine Freizeitklamotten für den Stadtbummel am Freitag. Jetzt fehlte nur noch der Kulturbeutel mit seinen Toilettensachen – fertig! Zufrieden stellte er die Sachen an der Haustüre ab und verließ nach einem raschen Frühstück in der Küche das Haus. Pünktlich zum Schulschluss stand der Wagen mit Robert am Steuer vor dem Tor bereit. Tim stieg ein – sein Vater saß bereits im Fond. Er war gut gelaunt. „Zum Flughafen, Robert!“ wies er seinen Fahrer kurz an. „Sehr wohl, Herr Professor!“ Robert fuhr los. Tim wurde unruhig, obwohl er schon so oft mit seinen Eltern in den Urlaub geflogen war. Er mochte Flugreisen nicht sonderlich – lieber wäre er mit einem der Luftkissenboote über den Kanal gefahren. Doch die Zeit drängte. In London angekommen, rief sein Vater ein Taxi und sagte nur kurz: „Kensington Room Hotel!“ Der Fahrer nickte und lud das Gepäck ein. Der Check- Inn war schnell erledigt; nun wurde es höchste Zeit, sich noch einmal kurz frisch zu machen und sich umzuziehen. Schon in gut einer Stunde sollte die Veranstaltung beginnen. „Wie weit bist Du, Tim? fragte sein Vater und klopfte an die Tür. „Gleich fertig, Moment noch!“ Wie aus dem Ei gepellt stand Tim in der Zimmertür. „Gut siehst Du aus, mein Sohn! Fast schon wie ein richtiger Geschäftsmann!“ Tim grinste.

Die Präsentation verlief wie geölt, alles klappte so, wie Professor von Hochbergen es sich vorgestellt hatte. Noch während die Zuhörer applaudierten, sah er stolz seinen Sohn an und zeigte ihm ‚Daumen hoch!’ Tim strahlte. Auch während des Empfangs verhielt Tim sich vorbildlich. Er war schon wieder ganz von Beruf Sohn des bekannten Wirtschaftsexperten. Nachdem der offizielle Teil beendet war und die Gäste in kleinen Gruppen zusammen standen und diskutierten, zog Tim sich diskret zurück. Seinem Vater sagte er, er müsse mal zur Toilette. Doch Tim hatte etwas ganz anderes im Sinn: er ging zu einer der Telefonzellen, holte ein paar Münzen aus der Tasche und steckte sie in den Geldschlitz. Dann wählte er: 0049… Schon nach dem zweiten Rufton meldete sich – Markos Vater. Mist! Tim legte schnell auf. Oder hätte er sagen sollen, wer er ist und dass er mit Marko sprechen wollte? Er nahm allen Mut zusammen und wählte erneut: 0049… Wieder Markos Vater. Diesmal legte er nicht auf. „Guten Abend, hier ist Tim von Hochbergen, ein Freund von Marko. Darf ich bitte kurz mit ihm sprechen? Ich rufe aus London an“. „Ja, einen Moment bitte“; Tim hörte, dass der Hörer zur Seite gelegt wurde. Hoffentlich reichte das Geld, das er eingeworfen hatte! Aber schon kurz danach meldete sich Marko. „Tim? Bist Du das?“ Und leiser: „Ich bin im Flur, hier kann ich nicht so reden, wie ich es gerne tun würde“. Tim verstand. „Dann hör einfach zu: Ich wollte Dir nur sagen, dass ich Dich lieb habe und Dich sehr vermisse!“ Marko flüsterte fast nicht mehr hörbar in den Hörer: „Ich liebe Dich auch!“ Mehr nicht. Also begann Tim wieder zu sprechen. „Ich habe nicht viel Zeit, muss wieder zurück zu diesem stinklangweiligen Empfang. Außerdem weiß ich nicht, wie lange das Geld noch reicht. Ich melde mich morgen noch mal, ja?“ „Ok, versuch’ s am Besten so ab eins, dann bin ich noch alleine!“, antwortete Marko. „Mach ich! Gute Nacht, mein Schatz! Ich liebe Dich!“ Marko hatte keine Chance mehr, zu antworten – Tims restliches Kleingeld war nun auch noch durch das Münztelefon gerauscht, und die Leitung wurde unterbrochen.

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