Geteilte Welten Kapitel 4 – Der nächste Morge

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Tim erwachte auf einem Strohballen – nur mit seiner Unterhose bekleidet. Sein Kopf brummte und er hatte Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Direkt neben ihm lag Marko, ebenfalls nur in Unterhose, und schlief. Marko lag auf der Seite, und sein Arm ruhte auf Tims Brustkorb. Was hatte das nun zu bedeuten? Tim schaute sich um: etwas verstreut sah er seine anderen Freunde, teils noch schlafend, teils auf ihren Strohballen sitzend, im Versuch, wach zu werden und sich zu orientieren. Vorsichtig umfasste Tim Markos Handgelenk und hob den Arm an, um sich befreien zu können. Genau in diesem Augenblick wurde Marko wach und lächelte ihn an. „Guten Morgen!“ Doch als Marko sich aufrichten wollte, fasste er sich an den Kopf. „Das letzte Bier war wohl schlecht“, meinte er grinsend. „Was macht Dein Schädel?“ „Na ja, geht so“ antwortete Tim knapp. Dann stand er auf, und ging in die Ecke, in der er gestern Nacht seine Kleidung abgelegt hatte. Aus der Jeanstasche kramte er seine Armbanduhr heraus. Schon 10 Uhr! Zwar hatte er inzwischen registriert, wo er sich befand, und um ihn herum wurde es langsam aber sicher auch immer lebendiger, doch dass es ihm wirklich gut ginge konnte er wahrlich nicht behaupten. Außerdem fragte er sich noch immer, was Markos Hand auf seiner Brust zu suchen hatte; auch Markos Unterhose hatte sich sichtbar gewölbt. ‚Ist er vielleicht doch schwul und will sich an mich heranmachen?’ schoss es Tim durch den Kopf.

Auch Tims Eltern waren schon lange wach – seine Mutter lief nervös auf und ab, während sein Vater alle Adressen abtelefonierte, die ihnen bekannt waren. Außer Giovanni, dem Pizzabäcker, in dessen Laden Tim ja gestern Abend noch war, hatte niemand ihren Sohn gesehen. Doch auch Giovanni konnte nicht wirklich helfen – er wusste nur, dass Tim mit dem Moped abgeholt worden war und er irgendwo feiern wollte. „Sollten wir nicht lieber die Polizei holen?“ schlug Sybilla vor. „Nun warte doch erstmal ab, Liebes, ich rufe jetzt erstmal den Hausmeister der Schule an“. „Ja, Tim war gestern Nachmittag noch einmal hier – er hat geduscht, und trug eine Jeans, ein rotes Shirt und Turnschuhe, als er die Schule verließ“, antwortete der Hausmeister. „Wann war das?“ Gestochen scharf schoss der Professor diese Frage ab. „Gegangen ist er so gegen 19 Uhr; aber wohin, kann ich Ihnen nicht sagen“. Also gab es auch hier keine befriedigende Antwort; aber immerhin wussten sie nun, was er zuletzt an hatte. Professor von Hochbergen hatte gerade aufgelegt, als das Telefon erneut schellte. Es war Willys Mutter. „Verzeihung Herr Professor, Sie kennen mich nicht. Ich bin die Mutter von Willy, einem von Tims Freunden. Wir wohnen am anderen Ende vom Ort auf dem großen Bauernhof. Tim ist hier bei uns – es geht ihm gut.“ In Tims Vater stieg ein Gefühl zwischen Erleichterung und dem Verlangen, sofort dorthin zu fahren, auf. Doch seine Frau hielt ihn zurück. Und auch Willys Mutter schien zu ahnen was der Professor beabsichtigte. „Bitte, Herr Professor, kommen Sie nicht her – die Jungs frühstücken jetzt noch bei uns, dann kommt Tim heim. Sie haben gestern am Baggersee seinen Geburtstag nachgefeiert, und bei uns in der Strohmiete geschlafen. Bitte seien Sie nicht zu streng mit ihm!“ Damit legte sie auf. Sybilla von Hochbergen fiel ein Stein vom Herzen. „Gott sei Dank, es ist alles in Ordnung!“ strahlte sie ihren Mann an. Wenn Timi nachher heim kommt, nimm ihn bitte nicht gleich auseinander!“ Lächelnd sah Albertus seine Frau an: „Na, ich will es versuchen. Mal sehen, wie er sich benimmt!“

Während in der Villa das Telefon nicht mehr still stand, waren die Jungs inzwischen alle aufgewacht, hatten sich –einer nach dem Anderen- im engen Badezimmer des Bauernhofes etwas frisch gemacht und saßen nun angezogen in der großen Küche vor einem üppigen Frühstück, das Willys Mutter zubereitet hatte. Marko hatte sich den Platz neben Tim gesichert, doch noch immer ahnte niemand etwas von seinen Absichten, auch Tim nicht. So langsam machte Tim sich Vorwürfe – er hätte sich schon lange bei seinen Eltern melden müssen; Vater war bestimmt stinksauer, und seine Mutter kam sicher halb um vor Sorgen. So super wie es gestern gewesen sein mag, es war nicht richtig, was er getan hatte. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Willy Mutter sah ihn lange an, dann fragte sie: „Tim, was ist los mit Dir? Du bist ja der reinste Zappelphilipp!“ Ein breites Grinsen ging durch die Runde, das aber ebenso schnell wieder verflog, als Tim seine Sorgen äußerte. Er hatte Angst – Angst vor seinem Vater! Doch noch bevor Tim zu Ende gesprochen hatte, nahm Willys Mutter das Telefon. „Ich rufe ihn an und erkläre ihm Alles!“ Neben sich hörte er die Stimme von Marko. „Hey, Alter, mach Dir keinen Kopp!“ Gleichzeitig spürte er seine Hand auf der eigenen. Das tat so gut! Und – es gefiel ihm! Als Willys Mutter mit Tims Vater telefonierte, war es totenstill in der Küche; niemand biss in sein Butterbrot, niemand nahm seine Kaffeetasse auf oder klapperte mit dem Messer. Und niemand sprach ein Wort. Marko schaute Tim an; der Blick hatte etwas sehr Beruhigendes. Als die Bäuerin aufgelegt hatte, flammte gleich wieder Leben in den Jungs auf. „Alles in Ordnung Timi, Deine Eltern wissen nun Bescheid. Sie erwarten Dich nach dem Frühstück.“ Irgendwie machte es Tim überhaupt nichts aus, dass sie „Timi“ zu ihm gesagt hatte…

Markos Hand lag noch immer auf seiner – doch Tim machte keine Anstalten, seine Hand wegzuziehen. Aber in seinem Kopf entstanden wirre Gedanken; ist Marko schwul? Bisher hatte er es ja noch nicht offen gesagt… Bin ich vielleicht sogar schwul? Wenn ja, wie würde ich das bloß meinen Eltern erklären können? Vater würde es bestimmt nicht verstehen… Dennoch war es ein schönes Gefühl, Markos Berührung zu spüren; er hatte nun auch noch begonnen, kaum merklich mit seinen Fingerspitzen seine Hand zu streicheln. Marko war trotz seiner immer deutlicher werdenden Absichten sehr darauf bedacht, dass keiner etwas bemerken würde – denn auch seine Freunde wussten bisher noch nicht, dass Marko auf Jungs stand.
Nachdem der letzte Krümel vertilgt und die letzten Tropfen Kaffee und Tee ausgetrunken waren, halfen die Jungs der Bäuerin noch schnell beim Tischabräumen. Dann verabschiedete sich Tim: „Ich glaub, ich sollte mich jetzt doch mal daheim blicken lassen – es war absolute Sahne! Die Fete, das Pennen im Stroh, das Frühstück – und dass Sie bei meinen Eltern angerufen haben, meinte er zum Schluss, zu Willys Mutter gewandt. Danke! Ihr seid die Besten!“ Noch einmal ging er rund, zuerst gab er Willys Mutter die Hand, und sein Blick zeigte tiefe Dankbarkeit. Dann nahm er einen nach dem anderen seiner Freunde in den Arm – zuletzt Marko. Diese Umarmung wollte fast nicht mehr enden, und Tim genoss es. Schließlich drehte er sich zur Tür und verließ das Bauernhaus.

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