Geteilte Welten Kapitel 20 – Stadtbummel mit Folge

Our Score
Click to rate this post!
[Total: 0 Average: 0]

Stadtbummel mit Folgen

Tim erwachte in seinem Hotelzimmer – es war kurz nach acht. Sein Handy piepste leise im Minutentakt. Er nahm es auf und las lächelnd die SMS, die er erhalten hatte. Sie war von Marko. Er schrieb: ‚Komm schnell zurück, ohne Dich halte ich es nicht aus! Ich liebe Dich!’ Tim legte das Handy weg, stand auf und ging ans Fenster. Unter ihm brodelte das Leben der Londoner City. Das Haustelefon schellte. „Hallo?“ meldete er sich, noch immer etwas schlaftrunken. „Guten Morgen, mein Sohn! Ich hoffe, Du hast gut geschlafen!“ Tims Vater hörte sich schon erstaunlich fit an, trotz des anstrengenden letzten Tages. „In einer halben Stunde erwarte ich Dich im Restaurant!“ „Ist gut, Paps, ich beeile mich!“ Damit legte er auf. Die Dusche erfrischte ihn und machte ihn munter. Aus der Sporttasche holte er eine weiße Jeans, ein Hemd mit kurzen Ärmeln und ein Paar weiße Leinenschuhe. Das Wetter versprach herrlich zu werden – sogar im sonst so verregneten London. Nachdem er sich angezogen und noch einmal im Spiegel betrachtet hatte, verließ er das Hotelzimmer und ging zum Aufzug. Hoffentlich steht da irgendwo, in welcher Etage das Restaurant ist! Doch es kam besser: Als sich die Tür öffnete, stand ein Liftboy vor ihm und lächelte ihn an. Tim wurde es heiß – der Junge war ein Traum! Er dürfte in etwa so alt gewesen sein wie Tim, hatte kurze, dunkle Haare, tiefbraune Augen und sah einfach nur süß aus in seiner Pagen-Uniform! „Good Morning!“ rief der Boy ihm mit einer klaren, hellen Stimme zu. „Witch Floor?“ Da Tim nicht wusste, wo er hin musste, antwortete er: „To the Restaurant, please!“ Er hatte in der 12. Etage den Lift betreten; bis zur 7. Etage war er mit dem Liftboy allein…. So sehr er sich auch bemühte – er musste doch immer wieder zu diesem süßen Jungen herüberschauen. Na, das fängt ja gut an: gerade mal eine knappe Woche mit Marko zusammen, und er schaute sich schon nach einem anderen Jungen um! Betreten sah er nach unten auf den Boden des Lifts; er hatte sich soeben selbst dabei erwischt, dass er seinem Schatz fast hätte untreu werden können! In der 7. Etage stiegen dann noch andere Gäste zu – vielleicht war es auch wirklich besser so! Der Lift hielt auf der 2., und der Liftboy deutete ihm, dass er hier aussteigen müsste. Er bräuchte jetzt nur noch links den Flur entlanggehen, dann käme er direkt zum Restaurant, wurde ihm erklärt. „Thanks!“ säuselte Tim, und trat aus dem Aufzug, drehte sich aber noch einmal um und sah den Liftboy an, bis die Türen sich schlossen.

Sein Vater erwartete ihn schon und winkte ihm zu. „Tim – hier!“ Tim setzte sich zu ihm an den Tisch. „Guten Morgen, Paps!“ Stolz sah Albert von Hochbergen seinen Sohn an. „Er nahm Tims Hand und sagte: „ Junge, Du warst klasse gestern. Genau so hatte ich mir das vorgestellt. Der Tag war ein voller Erfolg. Danke für Deine großartige Hilfe!“ Tim wurde rot – fast war er es schon nicht mehr gewohnt, so viel Lob von seinem Vater zu bekommen. Doch Tims Vater lächelte nur und sagte: „Wir gehen gleich in die Stadt. Du darfst Dir was Schönes aussuchen. Hast du eine Idee, was Du haben möchtest?“ Tim schüttelte nur mit dem Kopf. „Noch nicht so wirklich“, meinte er kleinlaut. „Mal schauen…“ Nach einem ausgiebigen Frühstück schlenderten Vater und Sohn durch die Londoner City, hielten mal hier an, schauten dort – wenn sie an bekannten Gebäuden vorbeikamen, betrachteten sie sie von außen oder gingen auch mal kurz hinein, wenn es möglich war. ‚London ist ja doch ne tolle Stadt!’ dachte Tim. Irgendwann um die Mittagszeit kehrten sie in einem der typischen englischen Pubs ein. Es gab ‚Fish & Chips’, und dazu einen großen Salatteller. Albert von Hochbergen wurde auf einmal ganz ernst; er sah seinen Sohn durchdringend an. „Tim, ich muss mal mit Dir reden“, begann er. Tim durchzog es wie ein Stromschlag. Was sollte jetzt kommen? „Du hast Dich sehr verändert; ich erkenne manchmal meinen eigenen Sohn nicht mehr wieder“. Tim wurde verlegen und sah auf seinen Teller. „Sieh mich bitte an, wenn ich mit Dir spreche!“ entfuhr es seinem Vater. Doch gleich wurde seine Stimme wieder sanfter. „Willst Du reden? Was bedrückt Dich? Hast Du ein Problem?“ Tim sah zu ihm auf – und schwieg. „Fast schon erheitert fuhr sein Vater fort: „Lass mich raten – Du bist verliebt!“ Tim biss sich auf die Unterlippe. „Wie heißt sie denn? Willst Du sie uns nicht mal vorstellen?“ Sie?? Wenn Paps wüsste… Gleichzeitig durchfuhr es ihn – wie sollte er jetzt aus dieser Nummer bloß wieder raus kommen? Oder war das jetzt die Gelegenheit, es ihm zu sagen? In seinem Kopf schwirrten tausende Gedanken herum, und er begann zu schwitzen. Aber noch immer sagte er nichts. „Mensch, Junge – ich kann es nicht mit ansehen! Du bist mein Sohn, und ich liebe Dich! Ich beginne wirklich, mir ernsthaft Sorgen um Dich zu machen! Wenn Dich etwas bedrückt, dann sag es mir; was auch immer es ist, ich bin für Dich da!“ Nun wurde Tim erst recht verlegen. Sollte er es wirklich seinem Vater sagen? Jetzt und hier? „Es ist nur – ach, nichts“, stammelte er. Professor von Hochbergen sah ihn besorgt an. „Los doch, raus mit der Sprache! Jetzt hast Du einmal angefangen, nun sei ein Mann und bringe es auch zu Ende! Niemand reißt Dir den Kopf ab, und so schlimm bin ich doch nun auch wieder nicht, dass Du Angst vor mir haben müsstest, oder?“ ‚Wenn Mom doch bloß hier wäre; sie würde es eher verstehen und versuchen zu schlichten, falls Paps ausrastet’ dachte Tim. Aber es gab kaum noch ein Zurück für ihn; zu sehr hatte sein Vater ihn schon in eine Ecke gedrängt, aus der er so einfach nicht mehr heraus kommen würde. Also nahm er all seinen Mut zusammen, der noch übrig geblieben war, und legte förmlich seinen Kopf in das Maul des Löwen. Entweder würde er zubeißen oder ihn verschonen. Er schloss seine Augen und sagte dann im festesten Tonfall, den er heraus-bringen konnte: „Ja, Papa, Du hast Recht, ich bin schrecklich verliebt. Aber“ – er machte eine Pause und holte ganz tief Luft – „es ist kein Mädchen!“

Albertus von Hochbergen schluckte, und versuchte mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, seine Fassung zu wahren. „Du – Du … bist… schwul?“ brachte er dann fast tonlos heraus. Es war ein Schock für ihn. Tim nickte nur, dann entstand eine quälend lange, wortlose Pause. Sie saßen sich gegenüber, keiner von Beiden hatte mehr nur das kleinste Interesse an dem Essen vor ihnen. Albertus von Hochbergen sah seinen Sohn mit großen Augen an, aber Tim wandte seinen Blick ab; er konnte seinem Vater in diesem Moment einfach nicht in die Augen sehen. Es dauerte lange – für Tim unendlich lange, bis sein Vater sich wieder einigermaßen gesammelt hatte. „Wer ist es?“ fragte er, in einem fast schon verächtlichen Ton. „Er heißt Marko, und ich liebe ihn wirklich über Alles!“, versuchte Tim sich herauszuwinden. „Na, dann wird es ja Zeit, dass wir ihn kennen lernen, wenn Du ihn wirklich so liebst!“ Tims Vater hatte sich alle Mühe gegeben, so freundlich zu wirken, wie es nur geht – doch Tim spürte, dass es gespielt war. In Wahrheit war er enttäuscht und wütend; der böse, beinahe sarkastische Ton in seiner Stimme war nicht zu überhören. So etwas hatte es in der langen Familientradition der Familie von Hochbergen noch nie gegeben – und das konnte und durfte es auch nicht geben! Wenn sich das herumsprechen würde, dass der Sohn des Wirtschaftsprofessors schwul ist… er mochte gar nicht daran denken. Albertus von Hochbergen dachte nach – nun fühlte er sich ein Wenig in der Zwickmühle, beinahe so, wie es Tim vorher ergangen sein musste. Sein Ton wurde etwas ruhiger und wärmer, als er Tim endlich wieder ansprach. „Junge, bist Du Dir wirklich sicher? Ist dieser Marko wirklich Deine große Liebe?“ Tim zögerte nicht einen Moment, als er antwortete: „Ja, Paps, ich liebe Marko, und er liebt mich. Es gibt für mich niemand Anderen mehr außer ihm!“ Scheinbar klang Tims Stimme so überzeugend, dass sein Vater ein wenig resignierte. „Na ja“, meinte er nur trocken, „nächstes Jahr wirst Du 18, da kannst Du sowieso tun, was Du willst. Ich fürchte, wir werden uns damit abfinden müssen, so schwer es uns auch fällt“. ‚Wir’, damit meinte er seine Frau und sich selbst. Tim sah zu ihm auf, und seine Augen leuchteten. „Glaub mir, Papa, Marko ist genau das, was ich brauche. Wenn Du ihn erst kennen gelernt hast, wirst Du merken, dass man ihn einfach lieb haben muss! Er ist das Einzige, was ich brauche in meinem Leben. Ich liebe ihn!“

Am frühen Abend saßen sie wieder im Flieger; Tims Vater versuchte noch immer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sein Sohn einen anderen Jungen liebte; Tim selbst kam mit diesem „halb akzeptierten Outing“ überhaupt nicht klar. Während des Fluges hatten sie sich nicht wirklich viel zu sagen. Wie würde Mom wohl reagieren, wenn sie es erst erfahren würde? Er war davon überzeugt, dass es seinem Vater unter den Nägeln brannte, seiner Frau von dem Gespräch zu erzählen…

    Schreibe einen Kommentar

    Your email address will not be published. Required fields are marked *