Eine Pflanze mit Pfiff Teil 1
Alles fing mit dem buchen einer Reise an. An sich nichts sonderlich Aufregendes, aber es sollte dieses Mal weiter weggehen als sonst. Also ging ich ins Reisebüro meines Vertrauens, denn ich mochte keine Buchung über das Internet. Für mich war der persönliche Kontakt zu den Menschen wichtig und einmal davon abgesehen, konnten sie einem unter Umständen sogar noch bessere Preise machen, als im Netz. Nicht umsonst hatten sie ihren Job über mehrere Jahre lernen müssen und als Reisekaufmann kannte man sich halt besser aus, was in der Natur der Dinge liegt.
Also ging ich hinein und ließ ich mich von Tina beraten, die mich und meine Wünsche kannte. Sie freute sich immer wieder, wenn ich kam, denn meine Wünsche beschränkten sich nicht auf die einfallslosen Wünsche, die ihr jeden Tag zuhauf angetragen wurde. Zwei Wochen Mallorca waren wirklich keine Herausforderung und die liebte sie über alles. Dann saßen wir fast zwei Stunden zusammen und waren damit voll und ganz beschäftigt, etwas für mich zu finden.
Es war nicht einfach aber zum Schluss waren wir uns darüber einig, dass ein Urlaub in Südamerika das richtige für mich war. Ich wollte unbedingt einmal den Amazonas sehen und den Urwald mit seinen Tausenden von Arten und Formen erkunden, zumindest soweit es möglich war.
Ehrlich gesagt bin ich kein Abenteurer. Ein Urlaub mit Rucksack wäre nichts für mich, was nicht heißt, dass ich unbedingt am Abend eine Dusche haben muss, aber ein wenig Führung musste schon sein. Leider, denn ich wäre lieber alleine unterwegs gewesen, aber das traute ich mich einfach nicht.
Zum Schluss kam so etwas wie eine Studienreise mit Freizeitanteil dabei heraus. Ich würde viel erfahren und in so manche Gegend kommen, in die sich normale Touristen nicht verirrten. Irgendwo zwischen Pauschaltourismus und Abenteuerurlaub.
Ein viertel Jahr später saß ich im Flieger und freute mich schon auf das, was vor mir lag. Dabei stellte ich mir so Dinge vor wie Riesenschlangen und Kaimane, die träge am Ufer lagen und sich die Sonne auf den Panzer scheinen ließen. Dazu diverse bunte Papageien, die kreischend durch die Luft flatterten. Eben das gesamte Potpourri von Tieren, die einem in den Sinn kamen, wenn man über Südamerika nachdachte.
Bis es dann allerdings soweit war, dauerte es noch zwei Tage, denn irgendwie musste man ja dorthin kommen und selbst das wurde schon anstrengend. Schon als ich aus dem Flugzeug stieg, wurde mir bewusste, wo ich war, denn die Hitze und Luftfeuchtigkeit war enorm. Kaum war man außerhalb des Flugzeugs begann man mit schwitzen und das höre nicht wieder auf. Schon wenig später klebten einem die Klamotten am Körper und man war nur froh darüber, dass es den anderen auch nicht anders erging.
Dann war ich endlich am Ziel meiner Träume. Majestätisch lag er vor mir und ich war mehr als erstaunt darüber, wie breit und träge er dahin floss. Eine eher bräunliche Flut strömte an mir vorbei und ließ die Millionen Tonne von feinsten Schwebteilchen erahnen, die sich viele Kilometer weiter in dem gewaltigen Flussdelta absetzten. Dazu kam ein leichter Geruch von verfaulenden Pflanzenteilen der in der Luft hing und sich bei dem schwülen Wetter schwer auf das Gemüt legte. So bestiegen wir unser Domizil für die nächsten Tage, welches vor uns lag.
Ein Flussdampfer älterer Bauart nahm uns auf und nur wenige Stunden später legten wir ab. Es ging gemächlich den Strom hinauf und es war die reinste Freude sich anzusehen, wie die Landschaft an einem vorbei zog. Zu diesem Zweck hatte ich einen der auf dem Oberdeck stehenden Liegestühle geentert und machte es mir darauf bequem.
Hier konnte man es recht gut auszuhalten. In den Kabinen war es eher stickig und heiß, was selbst die Ventilatoren an der Decke nicht verhindern konnten. Hier oben wehte aber ein ständiger leichter Wind, der es erträglich machte. Einmal davon abgesehen, dass es hier wesentlich mehr zu sehen gab.
Unsere ersten zwei Stopps waren für mich eigentlich uninteressant, brachten aber etwas Abwechslung. Erst dann kam das, was ich herbeisehnte. Wir fuhren in einen Seitenarm des Amazonas, der bei uns Zuhause einen mehr als großen Fluss bedeutet hätte. Erst hier begann der unberührte Urwald, zumindest hatte man den Eindruck. Mehr als dicht standen die Bäume und anderes niedriges Buschwerk am Wasser und ließen einem keinen Blick mehr hineintun. Es war wie eine ewig lange grüne Wand, die sich an uns vorbei zu bewegen schien.
Hier auf dem Seitenarm waren wir auch endlich alleine. Waren wir auf dem Hauptstrom des Amazonas noch öfters anderen Schiffen begegnet, so waren wir hier fast alleine. Nur einmal kam uns ein Schiff entgegen, welches unseren relativ ähnlich war. Doch es verschwand wenige Minuten später hinter einer Flussbiegung und wir waren wieder vollkommen alleine. Erst jetzt, als die grünen Wände der Ufer langsam näher rückten, bekam man die volle Brandbreite der Gerüche und Geräusche mit. Diverse Tiere stießen ihre Laute in die Luft und man fragte sich mehrmals, zu welchem Tier sie gehörten, denn man sah nie eines davon. Nur ab und zu einen Reiher, der am Ufer nach unvorsichtigen Fischen Ausschau hielt oder einen anderen Vogel, der uns genauso interessiert und neugierig betrachtete wie wir ihn. Dazu kamen jetzt andere schwere Düfte, die die Geruchsnerven zum Vibrieren brachten. Sie waren mal süßlich, mal säuerlich, konnten einen an frische Erde erinnern, an einen Süßwarenladen oder an einen Komposthaufen. Vielleicht war es aber auch nur die Interpretation des Gehirns, welches einem seine Verwirrung mitteilen wollte. Es war sozusagen von den Eindrücken vollkommen überlastet und versuchte sie so zu verarbeiten.
Dann legten wir an einer Stelle an, der man selbst von Nahem kaum ansehen konnte, dass man dort halten konnte. Nur ein schmaler Pfad führte uns über eine Art Steg das Ufer herauf und quer durch die grüne Masse, die den Dschungel darstellte, den ich so sehr herbeigesehnt hatte. Hier würden wir fünf Tage bleiben und ich bekam die Chance, mich dem zu nähern, was mich umgab.
Etwa fünfhundert Meter weiter öffnete sich der Wald und eine Lichtung von zweihundert Metern im Durchmesser tat sich vor uns auf. Hier waren mehrere große Zelte aufgestellt worden, die in den nächsten Tagen unser Zuhause bedeuteten.
Kaum hatten wir uns so einigermaßen eingerichtet, als die Reiseleitung uns noch einmal erklärte, welche Veranstaltungen vorgesehen waren, die wir gebucht hatten. Unter anderem eine Führung durch den Wald mit einem einheimischen Führer über zwei Tage.
Hierauf war ich mehr als gespannt und hatte mich dementsprechend mit meinem Gepäck vorbereitet. Einen Rucksack und festes Schuhwerk waren dazu vonnöten und ein kleines Zelt, für die Übernachtung im Dunkel des Dschungels, worauf ich mich am meisten freute. Ich wollte die Stimmen der Nacht um mich herum hören, wollte ein Teil dieser uralten Welt werden.
Am nächsten Tag brachen wir zu der Expedition auf und unser Führer führte uns in die geheimnisvolle Welt zwischen die Bäume, wo uns sofort ein diffuses grünliches Licht umgab und die Sonne vor uns verbarg.
Woran sich unser Führer orientierte, war mir vollkommen schleierhaft. Ich an meiner Stelle hätte mich schon nach wenigen Metern verlaufen. Es sah alles so gleich aus und es waren keine Marken zu erkennen, an denen man hätte orientieren könnte. Zumindest ich sah keine und verließ mich hierzu vollkommen auf unsere Begleitung.
Er war schon etwas älter, klein von Statue aber mehr als gut zu Fuß. Man konnte richtig sehen wie er sich bemühte langsamer zu laufen, um uns Stadtmenschen nicht zu überfordern. Trotzdem kamen wir gut voran und tauchten immer tiefer in seine Welt ein.
Dann kamen wir an unserem Ziel an. Oder besser gesagt hielten wir auf einmal an, ohne dass ich erkennen konnte, warum ausgerechnet hier. Es sah dort so aus wie vor hundert Metern schon und würde in den nächsten hundert auch noch so aussehen. Trotzdem war unser Einheimischer davon überzeugt, dass es eine gute Stelle war, um zu übernachten. Ich begriff erst einen Tag später, warum es so war. Es hatte nichts mit der Stelle selber zu tun sondern mit der Zeit. Hier kam die Nacht sehr schnell und wir mussten bis dahin unser Lager aufgeschlagen haben, sonst standen wir fast plötzlich im Dunkeln und hatten mehr als große Schwierigkeiten noch unsere Unterkünfte aufzubauen.
Also stellten wir alles auf und gingen dann auf die Suche nach verwertbarem Feuerholz. Dabei fiel einem auf, wie wenig es davon gab. Hier im Urwald wurde abgestorbenes Material sofort wieder verwertet und lag nicht lange am Boden herum. Eine Heerschar von Insekten, Pilzen und anderem Gewimmel machte sich darüber her und verwandelte es in eine mehr als dünne Schicht Humus. Ein Kreislauf, der einem erst jetzt richtig bewusst wurde.
Die Suche nach dem Feuerholz gestaltete sich wie gesagt, etwas schwierig und wir hatten mehr als lange damit zu tun. Dabei versuchte ich mich nicht zu weit vom Lager zu entfernen, denn ich hatte keinen so guten Sinn dafür, wie ich wieder zurückkommen konnte. Also blieb ich auf Sicht oder zumindest Hörweite.
An einer Stelle stieß ich auf einige exotische Blumen die leider schon verblüht waren aber noch von ihrer Schönheit zeugten, denn die verblühten Blüten waren immer noch tiefblau. Ich sah sie mir etwas genauer an und fand an einigen der Stängel Samenkapseln, die ich mit der verrückten Absicht abpflückte, sie zuhause einzupflanzen. Ich steckte sie in meinen kleinen Rucksack und vergaß sie fast augenblicklich, denn es gab auf jedem neuen Quadratmeter des Bodens etwas zu sehen, wenn man genau hinsah. Nur anfassen sollte man nichts, was man nicht kannte und da ich nicht eines der kleinen Geschöpfe kannte, welches viele Beine hatte, ließ ich es auch lieber. Immerhin konnte es vielleicht stechen oder beißen und das Risiko wollte ich nicht eingehen.
Mit meiner Ausbeute von Brennholz kam ich wieder auf dem Rastplatz an, und da sich fast alle anderen an der Suche beteiligt hatten, kam doch ein kleiner Haufen zustande, der reichen würde.
Später saßen wir rund um das kleine Lagerfeuer und uns wurde über den Wald erzählt. Unser Führer berichtete über die Gegend, in der wir uns befanden, denn es war der Lebensraum seiner Sippe. Sie verdiente sich durch einen leichten und begrenzten Tourismus ein wenig Geld dazu und konnte somit überleben. Denn ein unstetes Leben auf der Wanderschaft wie noch vor hundert Jahren war nicht mehr möglich, dazu war schon zu viel ihres Lebensraums zerstört worden. Also hatten sie die neue Herausforderung angenommen und sich darauf eingestellt, wobei ein wenig Wehmut aus seiner Stimme klang.
Doch das Thema wurde dann abgehakt und er erkundigte sich darüber, was wir sehen wollten und versprach es, unsere Wünsche zumindest zum Teil an nächsten Tag zu erfüllen. Da sich aber die Natur nicht überlisten ließ, konnte er nicht alles versprechen.
So sammelte ich in meinem Urlaub noch viele Eindrücke und trug sie in meinem Gehirn mit nach Hause. Erinnerungen und Bilder, die ich unterwegs schoss, waren mein Lohn für die Fahrt, die nach vierzehn Tagen endete, als ich wieder vor meiner Haustür stand.
Hier angekommen packte ich langsam meine Sachen aus und widmete mich den Dingen des Lebens, die ich nicht vermisst hatte. Auch wenn ich gerne reiste, so war ich auch immer wieder froh, wenn ich wieder Zuhause war.
Dann kam ich zu meinem Rucksack, und als er fast leer war, fand ich in der hintersten Stelle die kleine Dose, in die ich die Samenkapseln gesteckt hatte. Ich erinnerte mich wieder daran und öffnete die Dose, in der sich mehrere fast schwarze Samen aus den Kapseln gelöst hatten und einzeln darin herum kullerten.
Ein Versuch war es wert, also nahm ich einen Pflanzkasten und schüttete ungedüngte Erde hinein. Ich bin kein Pflanzenkenner und handelte deswegen vollkommen intuitiv. Immerhin war der Boden des Dschungels ebenfalls recht nährstoffarm und somit versuchte ich in etwa die gleichen Bedingungen zu schaffen, die dort herrschten, wo sie wuchsen. Dann brachte ich die Samen in die Erde ein und bewässerte sie reichlich. Regenwald halt. Zum Schluss stellte ich sie in eine eher dunkle Ecke meines Wohnzimmers, in die Nähe eines Heizkörpers.
Täglich goss ich sie jetzt mehrmals und erwartete hoffnungsvoll, ein Zeichen von Leben zu entdecken. Das Einzige was ich entdeckte war aber eine Ansammlung von Schimmelpilzen, die sich über die Erde hermachten. Sie fanden ein ideales Umfeld für ihre Entwicklung vor.
Daraufhin ließ ich es mit dem gießen und vergaß den Pflanzkübel, nachdem ich ihn in den Keller gebracht hatte. Drei Wochen später wollte ich für den Sommer etwas Petersilie sähen, wie ich es jeden Frühling tat. Doch leider hatte der Pflanztopf den ich immer dafür benutzte über den Winter mehr als gelitten und war auf der einen Seite gerissen. Ich fluchte mehr als einmal, denn ich hatte keine Lust noch einmal in den Baumarkt zu fahren um einen neuen zu kaufen. Doch dann erinnerte ich mich an den im Keller. Fröhlich pfeifend ging ich hinunter, nahm ihn und ging damit in die Küche um ihn für die Petersilie fertigzumachen.
Ich wollte gerade die alte, verbrauchte Erde in den Mülleimer ausschütten, als ich noch einmal hineinsah und es dann doch nicht tat. Der Schimmel war inzwischen nicht mehr zu sehen, stattdessen waren einige wenige, grüne Stängel gewachsen, die so ähnlich aussahen wie Schnittlauch. Nur zwei Zentimeter hoch aber bei genauem Hinsehen gut zu erkennen.
Was dort genau wuchs, war mir nicht klar, es konnte genauso etwas ganz anders sein als das aus den Samen, aber ich wollte es dann doch wissen. Der Kübel kam an seine alte Stelle zurück und ich begann, ihn wieder zu wässern.
Zu meiner Zufriedenheit konnte ich fast täglich erkennen, wie die Stängel wuchsen. Sie wurden langsam länger und begannen sich zu teilen. Hieraus bildeten sich Blätter, die sich ausrollten, während der Hauptstängel in der Mitte weiter nach oben wuchs.
Jetzt war ich mir ziemlich sicher, dass es die Pflanze aus dem Dschungel war, denn die Blätter erkannte ich recht genau. Also wartete ich gespannt darauf, wie wohl die Blüte aussehen würde, wenn sie sich öffnete, denn ich kannte ja nur die verblühte Form.
Tag für Tag sah ich mindestens zweimal nach den kleinen Pflanzen, die sich inzwischen immer weiter entwickelten und größer wurden. Dabei kamen sogar noch einige nach und so konnte ich auf einen Blick die verschiedenen Entwicklungsstufen sehen.
Es dauerte noch fünf Wochen, bis sie in etwa die Höhe von Tulpen hatten. Doch noch immer konnte ich keine Knospe erkennen. Die Stängel standen einfach nur kerzengerade im Topf und waren jetzt von einem dichten Gewirr von Blättern umgeben.
Da ich keinen Botaniker kannte und ich die Pflanze noch nie gesehen hatte, machte ich mich auf in die nächste Gärtnerei und fragte nach, was man machen könnte. Dabei erwähnte ich natürlich nicht, um was für Pflanzen es sich handelte. Sie mussten es gar nicht wissen, denn ich witterte insgeheim ein Geschäft. Immerhin war es eine Art, die bei uns nicht gezüchtet wurde und ich dachte mir inzwischen, sie vielleicht zu verkaufen. Zumindest wenn die Blüten so gut aussahen, wie ich es mir vorstellte.
Man riet mir, einen Ortswechsel vorzunehmen, die Bedingungen zu verändern. Also ging ich nach Hause und brachte den Topf auf eine Fensterbank die morgendliche Sonne bekam. Jetzt waren die Pflanzen hellerem Licht ausgesetzt.
Es war, als wenn man einen Startknopf gedrückt hätte. Schon zwei Tage später verdickten sich die oberen Enden der Stängel und sahen wenig später wie dicke Kugeln aus, durch deren dünne Wände etwas Dunkles zu erkennen war.
Am liebsten hätte ich jetzt eine der Kugeln abgeschnitten und geöffnet, so gespannt war ich darauf, was darin war, aber ich ließ es. Es sollte eine Überraschung werden und ich erwartete es mit Spannung. Jeden Morgen war es das Erste was ich tat und jeden Abend das Letzte, wenn ich danach sah. Wobei ich es zwischendurch auch nicht lassen konnte.
Es dauerte mir fast zu lange. Vier Tage später stand ich auf und sah gleich nach den Pflanzen, die jetzt endlich zu Blumen geworden waren. Die Knospen waren in der Nacht aufgeplatzt und waren gerade dabei ihre Pracht auszubreiten.
Ihre Blüten waren tiefblau, wie ich es vermutet hatte, und sahen dabei fast wie Osterglocken aus. Fünf Blütenblätter standen um einen tiefen Kelch herum, der sich gerade zur Seite ausrichtete. In dem Kelch selber befand sich ein dunkelroter Stempel, welcher von vielen gelben Staubgefäßen umgeben war.
Ich fand, dass es eine überaus schöne Blume war, und konnte es nicht lassen, meine Nase in den Kelch zu führen um ihren Duft wahr zu nehmen.
Sie roch süß, um nicht zu sagen, sehr süß. Allerdings in einer Art, welche ich so nicht kannte. Es war nicht der Duft, den man von Rosen kannte, sondern ganz anders. Vielleicht eher in Richtung Vanille mit einem Hauch von Karamell. Ich kann das schlecht beschreiben, nur so viel sei gesagt, dass mein Gehirn eine Meldung an meinen Magen schickte und ihm mitteilte, dass gleich etwas zu essen herunter kommen würde. Zumindest begann, mein Magen zu knurren.
Ich bekam Hunger, was ich aber meinem leeren Magen und dem Morgen zuschrieb und nicht der Blume. Also machte ich mich wie üblich daran, den Frühstückstisch zu decken und begann meinen Hunger zu stillen. Seltsamerweise konnte ich diesen kaum stillen. Selbst als ich mich schon kugelrund fühlte, kämpfte ich noch immer mit dem Gefühl des Hungers.
Wohl zwei Stunden lang blieb das Gefühl noch vorhanden, obwohl ich schon mehr als das doppelte, dessen zu mir genommen hatte, was ich sonst aß. Erst dann ebbte das Gefühl langsam ab und das Völlegefühl trat an die Stelle des Hungers.
So etwas hatte ich noch nie erlebt und tat es als einmaliges Ereignis ab, da ich aber recht schlank war, machte es mir auch nichts aus und beschloss stattdessen, das Abendessen ausfallen zu lassen.
An dem Tage hatte ich noch etwas vor und verließ gegen Mittag das Haus. Es standen einige Erledigungen, an die nicht aufgeschoben werden konnten, denn am Wochenende hatte sich eine gute Freundin von mir angesagt. Sie hieß Nadja und wir beide hatten ein etwas seltsames Verhältnis miteinander, wobei man von gar keinem Verhältnis sprechen konnte.
Sie sah gut aus und war eigentlich der Typ Frau auf den ich stand. Genauso erging es ihr mit mir. Allerdings hatten wir nie zueinandergefunden. Wenn ich etwas von ihr gewollt hatte, war sie in festen Händen. Dafür war ich dann gebunden, wenn sie gekonnt hätte. So kamen wir wie die Königskinder nie zusammen. Mit der Zeit war es dann sogar so, dass selbst wenn wir beide ohne Anhang waren, trotzdem nichts miteinander hatten. Irgendwas hielt und davon ab, obwohl wir es im Grunde genommen wollten. Aber vielleicht machte gerade dieser Umstand unsere Beziehung so reizvoll und ich war der festen Überzeugung, dass die Spannung die zwischen uns herrschte, sofort vorbei gewesen wäre, wenn wir miteinander geschlafen hätten.
Aus diesem Grund freute ich mich auch immer besonders darauf, wenn wir uns trafen, was wir gegenseitig jeden Monat einmal taten. Dann saßen wir vom frühen Abend, bis meistens frühen Morgen zusammen und unterhielten uns, während wir Musik hörten. Dazu gab es immer etwas Leckeres zu essen und trinken. Und genau das musste ich noch besorgen. Für den Abend Wein und Käse, für einen nächtlichen Snack noch etwas einfaches Kaltes. Hier reichten dann kalte Koteletts oder Kassler, den ich bevorzugte. Gerade spät am Abend oder Morgen lechzte ich oft nach etwas Salzigem, was sicher an dem etwas erhöhten Genuss von Alkoholika lag, den wir uns zuführten.
Gegen Nachmittag kam ich wieder nach Hause und verstaute die Einkäufe im Kühlschrank. Dann ging ich ins Wohnzimmer zurück und bewunderte wieder einmal die wunderschönen Blumen und roch an ihnen.
Was sollte ich sagen? Wie schon am Morgen bekam ich einen mörderischen Hunger. Obwohl ich mir geschworen hatte, an diesem Abend nichts mehr zu essen, stürmte ich schon bald in die Küche und begann den eben erst gefüllten Kühlschrank zu plündern. Der neue Käse verschwand ebenso in mir, wie ein Glas Gurken, ohne auf eine Reihenfolge achtzugeben. Selbst Marmelade wurde gleichzeitig mit Wurst in den Mund gesteckt. Danach folgte ein Rest Kartoffelsalat vom Tag zuvor, der aber mit einem großen Löffel Erdnussbutter geschmacklich abgerundet wurde.
Man wird es nicht glauben, aber es schmeckte wirklich. Wenn ich kein Mann gewesen wäre, dann hätte ich gedacht, dass ich schwanger wäre. Zumindest als ich noch den allerletzten Rest verdrückte, den ich fand. Nur um es einmal zu verdeutlichen. Süße Schlagsahne mit Senf und das Ganze auf einem rohen Ei in einer Tasse hatte ich zuvor noch nie gegessen. Seltsamerweise schmeckt es mir trotzdem. Das Einzige, was zum Schluss noch übrig war, waren die rohen Kotelettes, denn selbst an dem rohen Kassler hatte ich mich vergangen. Übrigens sehr lecker mit Haselnusscreme.
Erst als ich dann doch die Kotelettes in der Hand hatte, wurde mir wirklich bewusst, was ich dort gerade tat und ließ meine Hände sinken.
Es muss ein seltsames Bild abgegeben haben, als ich dort angelehnt an den Kühlschrank saß, dessen Tür sperrangelweit geöffnet stand. Ich schüttelte meinen Kopf von einer Seite auf die andere und konnte es nicht verstehen, wie es dazu kommen konnte.
Also legte ich die Fleischscheiben wieder in den Kühlschrank, schloss diesen und stand mit kugelrundem Bauch auf. Dann setzte ich mich nachdenklich auf einen der Küchenstühle.
Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen und brauchte lange, bis ich wieder alles auf die Reihe bekam. Einmal davon abgesehen, dass ich jetzt meine Fresseskapade bedauerte, denn ich musste noch einmal einkaufen, kamen mir die kühnsten Theorien in den Kopf, die ich allerdings sofort wieder verwarf. Sie waren einfach zu absurd, besonders als ich schon an Außerirdische dachte, die mich entführt und mein Gehirn manipuliert hatten. Vielleicht hatten sie ausgerechnet den Teil meines Gehirns verändert, welches die Urinstinkte steuerte. Doch mein Grinsen beendete diese Geschichte, als ich mir vorstellte, wie ein paar kleine, grüne Männchen eine Art Fernsteuerung benutzten. Sie drückten auf einen Knopf und ich bekam Hunger. Lächerlich. Was hätten sie davon gehabt? Zumal bei einem einzelnen Menschen.
Allerdings wenn nun alle so verändert worden wären und sie immer wieder auf den Knopf drückten und wir uns immer dicker fraßen, dann machte es wieder Sinn, zumindest wenn sie uns sprichwörtlich zum Fressen gerne hatten.
Bei dem Gedanken sah ich die Bilder vor meinen Augen und musste laut lachen. Auf welch seltsame Gedanken man kommen konnte, wenn man anfängt, sich etwas vorzuspinnen. Das Einzige was mir dann noch Sorgen machte war, warum inzwischen immer mehr Menschen immer schwerer wurden? Wäre doch mal ein Grund darüber nachzudenken. Vielleich war ich ja einer intergalaktischen Verschwörung auf die Spur gekommen, die noch keiner bemerkt hatte!
Dann orientierte ich mich an einer ganz anderen Lösung. Was war Neues in mein Leben getreten, was dieses Verhalten auslöste. Es musste etwas sein, was zuvor noch nie da gewesen war und das Einzige, was mir einfiel, waren die Blumen. Immerhin hatte ich schon zweimal Hunger bekommen, wenn ich an ihnen gerochen hatte.
Also ging ich ins Wohnzimmer und steckte diesmal meine Nase nicht so tief hinein, sondern roch nur mit etwas Abstand. Nur ganz leicht konnte ich den süßlichen Duft riechen und bemerkte, wie der an meine Geruchsknospen drang.
Fünfzehn Minuten später hatten sich auch die rohen Kotelettes von dieser Erde verabschiedet und lagen mit allem anderen schwer in meinem Magen. Zum Glück hatte ich aber nur mit sehr viel Abstand an den Blütenkelchen geschnüffelt. Ich weiß nicht, was ich sonst noch alles verdrückt hätte. Es wäre nicht mehr viel da gewesen, einmal abgesehen von diversen Rohstoffen in den Schränken. Bei Zucker angefangen über Mehl und ungekochten Nudeln.
Ich hatte also den Übeltäter gefunden und war mehr als erstaunt darüber. Von so einer Pflanze hatte ich noch nie etwas gehört, denn jeder hätte sofort davor gewarnt, da war ich mir sicher. Also ging ich wieder ins Wohnzimmer und sah sie mir diesmal aus einiger Entfernung an.
Die Blumen sahen so friedlich und freundlich aus, zeigten äußerlich in keiner Weise, wie gefährlich sie waren. Unschuldig standen sie in ihrem Blumentopf da und keiner ahnte, wozu sie in der Lage waren. Welchen Sinn dies machen sollte, ging mir einfach nicht auf. Einen Grund musste es haben, denn die Evolution würde sich so etwas nicht ausdenken, wenn es vollkommen sinnlos war.
Also dachte ich noch einen Moment darüber nach, kam aber zu keinem Ergebnis. Das Einzige was ich mich fragte war, ob und wenn ja wie es auch auf andere Menschen wirken würde oder nur auf mich. Die zweite Frage die sich mir dann stellte war, wenn alleine der Geruch schon so stark wirkte, wie war es erst, wenn man die Blume oder die verschiedenen Teile von ihr aß?
Da ich aber von dem Geruch schon so willenlos gemacht wurde, wollte ich dies lieber nicht alleine ausprobieren. Ich wollte zumindest einen anderen Menschen dabei haben, der mich irgendwie zurückhalten konnte, wenn ich etwas Dummes anstellte. Dabei ging ich sogar so weit, dass ich es für richtig empfand, mich vielleicht sogar fesseln zu lassen. Immerhin hatte Odysseus die Sirenen so auch ohne nennenswerte Blessuren überstanden.
Da ich in dieser Frage kaum jemandem über den Weg traute, war es geradezu genial, dass Nadja am Wochenende kommen würde. Wir hatten schon nächtelang über jede Art von Thema diskutiert und sie war sicher einer der wenigen Menschen, denen ich mich anvertrauen konnte. Bei ihr war ich an der richtigen Adresse und freute mich darauf, dass sie kam. Es würde mehr als interessant werden.
Das Wochenende kam und ich hatte inzwischen meine Vorräte und den Kühlschrank neu aufgefüllt. Somit konnte ich Nadja etwas anbieten und mein Experiment starten.